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Werden und Sein sind zwei Energien in lebendiger Balance

Werden und Sein sind zwei Energien in lebendiger Balance
by Heinz Peter Wallner

Werden und Sein sind zwei Energien in lebendiger Balance

Das Zitat „Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage“ aus Hamlet`s Monolog  ist eine oft benutzte Wendung in kritischen Situationen. Immer wenn wir uns mit Angst konfrontiert sehen oder gar den Tod fürchten geht es uns Menschen plötzlich um das Sein. Das ganze Leben zuvor wird dagegen meist nur dem Werden zugeschrieben. Werden und Sein müssen in eine neue Balance kommen.

Unterschied führt zur Einheit, Form zur Formlosigkeit, Konzentration zur Freiheit vom Denken, Werden zum Sein.

Werden und Sein - train the eight

Werden und Sein – train the eight

Die Welt des Werdens

Ich habe über das Sein schon viel nachgedacht. Zugegeben, es ist meine Welt auch eine Welt des Werdens, in der das Sein nur einen Stehplatz im dritten Rang bekommt. Schon lange aber ist mir vollkommen klar, dass ein Werden einen Sinn braucht. Dieser Sinn ergibt sich aus dem Sein, das nicht zum Gegenpol sondern zum integrierten Begleiter des Werdens wird.

Es scheint sich so zu verhalten: je weiter ein Mensch in seiner spirituellen Entwicklung gereist ist, desto stärker tritt das Sein in den  Vordergrund. Wer durch stetes Werden ein Meister geworden ist, kann als dann Meister sein.

Das Werden als spiritueller Weg

Auch Menschen, die als spirituelle Lehrer das Sein als Sinn des Lebens preisen (beispielsweise Eckhart Tolle: „Das innere Ziel des Lebens ist das Sein“), kommen nicht um das Werden herum. Das Bewusstsein will entwickelt werden, der Mensch möge erwachen und mit höheren Ebenen des kollektiven GEISTES (der Anwesenheit, Gott, …) in Resonanz treten.

Alles ist mit Übung verbunden, im Mittelpunkt steht Meisterschaft bis hin zur Einweihung in spirituellen Traditionen. Wer es schon einmal versucht hat, Meisterschaft anzustreben, der hat die Erfahrung gemacht, dass diese nicht durch bloßes Sein erreichbar ist, sondern nur durch stetes Üben. Meisterschaft ist ein Werden, das zum Sein führt.

Werden und Sein – eine Balance?

An dieser Stelle beginnt mich die Frage nach dem Werden und Sein besonders zu interessieren. Meine ganz Arbeit richtet sich am „train the eight“ Modell aus, ein Lern- und Veränderungsmodell, das naturgemäß das Werden im Fokus hat. In meiner Arbeit mit Menschen und Organisationen geht es also immer um ein Werden, um eine Veränderung zum Guten. Möge das zum Sein führen oder nicht, der Weg ist ein Werden und ich will ihn weiter gehen.

Der übertriebene Wert des Werdens

Warum aber hat das Werden in unserer Kultur einen so hohen Wert? Der menschliche Geist zeichnet sich durch den Drang zur Erweiterung der Gedankenräume aus. Gäbe es kein Werden, unser Geist verkümmerte in kurzer Zeit. „Wir leben in einer Welt, die grundsätzlich instabil und im Werden begriffen ist“,  meint Ilya Prigogine.

In seinem Buch vom „Vom Sein zum Werden“  (Nobelpreis für Chemie 1977) schreibt Ilya Prigogine über den Übergang von unbelebter zu belebter Materie. Mit seiner Theorie irreversibler Prozesse gab er der Evolutionsforschung somit neue Impulse

[Dieses Buch kann ich aber nicht wirklich empfehlen, weil es einfach zu mathematisch und zu komplex geschrieben ist.  Wer sich aber für Fragen der Selbstorganisation interessiert, dem empfehle ich sein Nachfolgewerk „Dialog mit der Natur“, das er gemeinsam mit Isabelle Stengers verfasst hat].

Ein Werdensprozess

Die gesamte Evolution ist ein riesiger Werdensprozess. Alles um uns scheint zu werden. Das Werden war die Basis allen Erfolges der westlichen Zivilisation. Kein Wunder also, wenn wir das Sein in den Keller sperrten. Im Sein steckt somit die Angst, alles zu verlieren. Sein braucht vielleicht mehr Mut als das stete Werden, weil sich die Sinnfrage stärker aufdrängt.

In neuer Resonanz mit dem Sein

Erst in letzter Zeit gewinnt aber das Sein mehr an Relevanz. Wir könnten sagen, dass der Hintergrund allen Werdens (die allumfassende Anwesenheit, das universelle Bewusstsein, der GEIST, das Göttliche) das reine Sein ist.

Wer im Werdensprozess Zugang zum wahren Sein findet, der hat von der süßen Frucht des ewigen Lebens gekostet. Das Sein ist nahe am Leben, besonders wenn wir es schaffen, das Denken anzuhalten. Vereinfacht würde ich sagen:

Werden ist im Raum des Denkens, das Sein im Raum des Herzens zu finden.

Die Welt des Seins hat eine andere Energie und eine andere Frequenz als die Welt des Werdens. Beide Energien zu vereinen bringt uns in eine irritierende Resonanz, die fern vom Gleichgewicht und somit sehr lebendig ist.

Leben im Werden und Sein: Bild eines großen Vogels im Flug. Er fliegt durch ein Bild des Feuers.

Leben im Werden und Sein (Dodo Kresse)

Auch im Kollektiv gibt es ein Werden und ein Sein

Ein Abbild dieser Entwicklungen der Menschen können wir auch in der Gesellschaft und Wirtschaft wahrnehmen. Nach mehreren Jahrzehnten des steten Werdens der Wirtschaft, das sich als Wachstum und als Steigerung manifestiert, kommen wir nun in eine neue Phase, in der es neben der Steigerung auch noch eine Ankunft gibt.

Ankunft meint Sein, meint nicht wachsen, nicht ausweiten. In seinem Buch „Die beste aller Welten“ beschreibt Gerhard Schulze  ein neues Wirtschaftsparadigma, das auf den gleichwertigen Säulen der Steigerung und der Ankunft gründet.

Das Ende der Steigerung

Die reine Steigerung ist vorbei. Nur mehr übertrieben anhaftende Menschen können ihren Glauben an das  ewige Wachstum nicht aufgeben. Ein pragmatischer Zugang ist wohl ein Mix aus einer selektiven Steigerung und einer neuen Ankunft, ein Auskommen in einem Möglichkeitsraum, den wir uns schon geschaffen haben.

Dazu gibt es vertiefende Artikel auf meinem Blog: Der Traum will wiederholt geträumt werden und Zwischen Steigerung und Ankunft finden wir Nachhaltigkeit (Sustainability).

Werden und Sein in der liegenden Acht

Wenn das nicht der erste Artikel von mir ist, den Sie lesen, dann wissen Sie nun was kommt. Am Ende jeder Gedankenreise ziehe ich eine Achterschleife. Heute suche ich das Werden und das Sein in der liegenden Acht. Meine Überlegungen führen mich zu folgender Schlussfolgerung.

Im Geist-Herz-Bewegung-Form Zyklus entlang der liegenden Acht durchlaufen wir eine Entwicklung nach außen. Wir expandieren, wir erweitern unseren Möglichkeitsraum, wir schaffen Chancen, wir entwickeln uns, wir denken und wir schaffen Formen, wir sind mitten im WERDEN.

Mit „train the eight®“ beschreiben und bearbeiten wir den Prozess des Werdens. Weil dieser Entwicklungsprozess aber ganzheitlich ist und wir immer tiefer in den Raum des Herzens eintauchen lernen, docken wir sozusagen schon im Werden immer am Sein an. Durch das Werden kommen wir somit auch entlang  der liegenden Acht immer näher an das Sein.

Die Umpolung in der Entwicklung als Transformation

Die persönliche Entwicklung eines Menschen kann aber nicht ewig durch das Werden geprägt sein. Irgendwann im Leben erfolgt ein Erwachen. Wir erreichen einen Punkt, an dem der Prozess des Formenschaffens seinen Höhepunkt erreicht hat. Die Formen verlieren ihren Wert und Sinn und unser Streben geht hin zu einer Formlosigkeit. In der liegenden Acht kommt die Entwicklung nach außen, auf immer größeren Achterschleifen zum Stillstand.

Im Nullpunkt erfahren wir die Transformation, die dann den Prozess nach innen auslöst. Wir polen uns um und durchlaufen den Prozess in der anderen Richtung. Die Achtschleifen werden wieder kleiner. Aus dem Raum des Denkens wird ein Raum der Gedankenstille, aus dem Raum des Herzens, ein Raum der nicht anhaftenden Liebe, aus dem Raum des Tuns, ein Raum der Ruhe und Ankunft und aus dem Raum der Erkenntnis und der Form, wird ein Raum frei von Bewertungen und Formen.  Aus dem train the eight® Raum des WERDENS ist ein Raum des SEINS geworden.

Das Denken reflektieren

Wie Sie leicht erkennen können, denke ich noch zu viel. Somit befinde ich mich in der Phase der Expansion, in der Ausweitung meines Geistes, im Schaffen von Formen. Ein Mensch im Prozess zur Formlosigkeit würde wohl kaum einen Blog betreiben und auch der eigenen Meinung keinen großen Wert beimessen. Ich bin ein Übender und vielleicht auch Sie, sonst würden Sie einen solchen Artikel wahrscheinlich nicht lesen.

Herzlich,

Heinz Peter Wallner

 

Dr. Heinz Peter Wallner Learning to change! Dem Wandel begegnen, Komplexität meistern, auf höhere Ebenen kommen! Führungskräftetrainer, Strategie- und Changeberater, Buchautor, Vortragender, mit 25 Jahren Berufserfahrung. Leadership, Self -Leadership und Persönlichkeitsentwicklung, Umgang mit Veränderung und hoher Komplexität (VUCA Welt), Leading Change, Entscheidungsfindung und neue emotional-intuitive Führungskompetenzen für agile Führungsformen. Das ganzheitliche und kreative Design wird Sie überraschen. Web: www.hpwallner.com Takern I 109, 8321 St. Margarethen/Raab, Österreich Mobil: +43-664-8277375 Office: +43-664-8277376 Mail: wallner [at] trainthe8.com Office: office [at] trainthe8.com

4 Kommentare

  1. Lieber Herr Wallner,

    Ihr Beitrag über Sein und Werden berührt mich sehr, auch weil es ein Thema ist, mit dem ich mich seit längerer Zeit beschäftige. Mir gefällt, dass Sie die beiden „Gegenpole“ Werden und Sein nicht nur auf einer persönlichen, sondern auch auf der kollektiven Ebene betrachten. Ich denke, dass viele Menschen (mich eingeschlossen) heute auf der Suche nach Sinn, Bedeutung, Lebensqualität, Glück… sind, und viele sich deshalb auf eine spirituelle Reise begeben, wo sehr häufig das Sein überbetont wird – Sie sprechen von Balance, und darum geht es meiner Ansicht nach. Ich hatte das „Glück“, vor vielen Jahren Lehrer zu treffen und mit Ihnen zu arbeiten, die in Ihrer Tradition das Werden und Sein (Being and Becoming) gleichermaßen betonten.

    Im Moment beschäftigt mich auch die Frage, wie wir auf kollektiver Ebene damit umgehen. Für mich gibt es sowas wie ein „Wachstums-Dilemma“: wie können wir wachsen ohne zu wachsen? Wohin entwickeln wir uns als Gesellschaft, als Kultur, als Menschheit, wenn wir weiterwachsen? Dafür gibt es ja bereits viele Szenarien und alle sind ziemlich düster. Ich lese gerade das Buch „Ismael“ von Daniel Quinn, er schreibt darin sehr schön genau über dieses Thema.
    Ihr Beitrag regt mich an, meine Gedanken auch niederzuschreiben…

    Herzlichst

    Michael Paula

  2. Lieber Herr Paula, herzlichen Dank für Ihren Kommentar und weiterführenden Beitrag. Sie haben mir ein Buch in Erinnerung gebracht, das ich vor sehr langer Zeit gelesen habe: From Being to Becoming (lustiger weise ein Erich Fromm auf Englisch :o) – da mache ich mich gleich auf die Suche.
    Zu Ihren Ideen: Ich kenne auch viele Menschen, die auf dieser Suche sind, die Sie beschreiben. Ich selbst bin auch ein Suchender. Die große gesellschaftliche Frage dazu können wir sicher mit dem „Wachstums-Dilemma“ beschreiben. Wachstum ist für uns heute mit einem materiellen und mit Geld bewerteten Wachstum gleichgesetzt. Ich kann mir aber Räume vorstellen, in denen wir wachsen, ohne dabei gleich alle Grenzen zu überschreiten. Wachstum im Sinne einer Erweiterung unserer Möglichkeitsräume, ein Wachsen des Geistes, des Bewusstseins, eine große Steigerung in unserer Reintegration in den Schöpfungsprozess und der Weisheit, eine weitere Intensivierung der lokalen und globalen Vernetzung, der Kooperation, … Ist Wachstum und Steigerung nicht nur dann ein Problem, wenn die treibenden Kräfte aus Lagerenergien freigesetzt werden (fossile Energie, Kernenergie, ..)? Ein solches Wachstum generiert keine wahre, schöpferische Komplexität, sondern eine Art „simulierter Komplexität“ unserer gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Systeme (unser Wachstum wirkt der schöpferischen Evolution entgegen). Was bliebe von unserer Komplexität der westlichen Kultur übrig, wenn wir von heute auf morgen den fossilen Energiehahn abdrehten? Kein Display würde mehr leuchten, kein Internet würde Daten übertragen, kein Auto fahren, kein Unternehmen produzieren. Zusammengefasst: Nichts würde bleiben, was wir mit Geldwerten hinterlegen könnten, außer ein paar Ruinen heutiger Glaspaläste. Als Gesellschaft haben wir nur eine Chance: Eine schöpferische Komplexität in unsere Systeme zu bringen, die von Energieflüssen der Sonne gespeist wird. Unter solchen Voraussetzungen ist auch Wachstum mit ganz anderen Grenzen neu zu denken. Das ist/wäre Nachhaltigkeit.
    Herzliche Grüße,
    Heinz Peter Wallner

  3. Lieber Peter,
    fast kann man beim Lesen Deines (gut lesbaren und gehaltvollen, danke dafür) Artikels den Eindruck bekommen, dass Sein und Werden – zumindest in ihren Auswirkungen – komplementär wären? Ich empfinde es eher als duales Begriffspaar, das in der Zeit pulsiert, beim Individuum, in den Jahreszeiten – darüber hinaus möchte ich nicht spekulieren. Kein Sein ohne Werden, aber Werden führt auch notwendig zum Sein.
    Das Werden (und sei es „nur“ im Subsystem der Wirtschaft) fast synonym mit Wachsen zu verwenden erscheint mir aber zu eng gedacht – zumindest wenn, wie in Deinem Beitrag angedeutet, auf materielles Wachstum und das damit verbundene Überschreiten von (physikalischen, ökologischen..) Grenzen abgestellt wird.
    Überspitzt formuliert meine ich, dass (reines) materielles Wachsen ein Werden ist, das das (spätere) Sein nicht fördert (sollten wir diese Behauptung nicht einmal bei einem Glas Roten – der ja auch nicht mehr materiell wachsen muss, um zu einem guten Tropfen zu werden 😉 – diskutieren?).
    Interessant ist, dass es für Menschen eine Art Zeitkonstante des Werdens zu geben scheint, um etwas zu sein (darauf gestoßen bin ich in dem Buch „Der Musikinstinkt“ von D.J. Levithin), nämlich muss man sich, um eine gewisse Perfektion zu erreichen (= „Meister zu sein“) mindestens 10 000 Stunden mit einer Sache beschäftigen.

  4. Lieber Gunter, mögen es 10.000 Stunden sein, die der Weg in Anspruch nimmt, lass ihn uns gehen 🙂 Wo schon erreichen wir heute Perfektion, worin sind wir Meister? Das ist sicher ein Thema für ein Gläschen, gerne einem Roten. Vielleicht hat das alles auch mit dem Kapitalismus zu tun, der uns zur Oberflächlichkeit zwingt. Wer ständig in Bewegung sein muss, lebenslang lernen sollte, wenig starke Bindungen eingehen darf um von innen nach außen ein flexibler, vernetzter Mensch – und somit wertvoller Mensch – zu sein, der hat wohl kaum Zeit und Muße für eine wahre Meisterschaft. Lass uns auch einmal die Frage diskutieren, wie viele Lebensaspekte der Mensch als Variable frei geben darf, um noch ein gutes Leben führen zu können. Was aber ist das Wichtigste, was wir konstant halten müssen?
    Wenn aber in der Zeit der ständigen Veränderung, gerade der Wandel selbst, das Werden, die Konstante wird, dann ist das eine Basis, auf der wir aufbauen können. Die 10.000 Stunden Zeitkonstante nehme ich in mein Denken und Handeln auf und beginne zu zählen :). Danke für Deinen Kommentar. Eine Freude ist mir das!
    herzliche Grüße, Peter

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